Geschichte der Kahlhorst-Schule

Die nachfolgenden Ausarbeitungen wurden von dem ehemaligen Schulleiter Herrn V. Langebach anlässlich des 100 jährigen Bestehens der Kahlhorst-Schule zur Erarbeitung einer Festschrift geschrieben. Dem gingen umfangreiche Recherchen voraus, mit deren Ergebnis nicht nur eine fast lückenlose Chronik zu Stande kam, sondern auch erstmals viele Hintergrundinformationen zur Schule und deren Umfeld gebündelt vorliegen.

Ein Auszug aus der Festschrift ist hier nun für den historischen Teil wieder gegeben.

Tradition setzt sich durch

Vor hundert Jahren, also 1906, wurde unsere Schule als II. St.-Jürgen-Schule gebaut. Zu der Zeit wurden die Volksschulen der Stadt nach den Kirchenbezirken der Innenstadt und dann der Vorstädte St. Jürgen, St. Gertrud und St. Lorenz benannt und mit Ordnungszahlen in der Folge ihrer Erstellung belegt; unsere Schule war nach der bereits 1886 an der Kalandstraße erbauten St.-Jürgen-Schule somit die II. St.-Jürgen-Schule.

Die II. St.-Jürgen-Schule brachte einige wesentliche Neuerungen in die Lübecker Volksschullandschaft des Jahres 1906.

Heute können wir uns kaum vorstellen, Jungen und Mädchen bei der Einschulung zu trennen, bis 1906 war dies in Lübeck an allen Volksschulen der Stadt grundsätzlich der Fall. Die strikte Trennung betraf auch die Schulnamen, die Gebäude und die Schulhöfe, teilweise sogar mit einer Mauer. Beim Bau der II. St.-Jürgen-Schule setzte sdsdsdsd man erstmals auf Koedu­kation, allerdings nicht aus pädagogischen Gründen, sondern aus finanziellen Erwägungen. Nach mehreren Schulbauten zwischen 1900 und 1906 war das Geld knapp und so plante die Behörde nun ein Schulhaus für alle. Nur im ältesten Jahrgang wurden die Geschlechter getrennt. Bereits während des Ersten Weltkrieges wurde die Koedukation ohne Angabe von Gründen stufenweise zurückgenommen, lediglich an Hand der Zahlen in der Chronik ist dies festzustellen.

Auch bei der Unterrichtszeit begann mit der Eröffnung der II. St.-Jürgen-Schule eine neue Regelung, denn die Schule durfte auch im Winter ungeteilten Unterricht geben. In den anderen Schulen gab es im Winterhalbjahr noch eine Mittagspause, in der die Kinder wieder nach Hause gingen. In der Chronik finden sich dazu die folgenden Aufzeichnungen:

„Der gemeinsame Unterricht von Knaben und Mädchen hat sich in dem verflossenen Halbjahr sehr bewährt, beide Geschlechter spornen sich gegenseitig an und üben in erziehlicher Hinsicht gegenseitig günstigen Einfluß aufeinander aus. In ebenso günstiger Weise kann ich mich über den Erfolg der ungeteilten Schulzeit aussprechen. Die zum Teil sehr große Entfernung (bis zu Strecknitz) würde bei schlechtem Wetter auf Fußwegen über die Felder einen zweimaligem Hin- und Rückweg sehr beschwerlich und anstrengend machen. Die 5. Unterrichtsstunde am Morgen ist den Kindern nicht beschwerlich geworden. Eltern und Kinder empfinden die ungeteilte Schulzeit direkt als eine Wohltat. Klagen über Verfehlungen der Kinder an schulfreien Nachmittagen sind mir weder von der Polizei, noch von den Eltern und Lehrern zugegangen. Der Mangel an Aufsicht an den schulfreien Nachmittagen macht sich bei unseren Kindern nicht geltend, da die Eltern gut gestellt sind, so daß die Mutter nur in Ausnahmefällen täglich außer dem Hause arbeitet. …Auch sind mir keine Klagen über die ungünstige Mittagszeit ausgesprochen, da die Mehrzahl der Väter mittags nicht nach Hause kommt. …Das neue Schulhaus entspricht allen Anforderungen.“

Die letzte Äußerung wurde schnell überholt von den rasch steigenden Schülerzahlen, so dass ein Erweiterungsbau schon im Juni 1911 beschlossen und bereits begonnen wurde:

„… als Schulrat Wychgram den Erweiterungsbau in der Behörde vertrat, da waren die Behörde, sowohl die Oberschulbehörde als auch die Baubehörde und nachher Senat und Bürgerschaft, so großzügig, daß mühelos ein besonderer, wunderbar schön eingerichteter Physiksaal mit Experimentiertisch, Verdunkelungseinrichtung etc, Nebenraum, Apparatezimmer, ein Handarbeitssaal, mit 6 Nähmaschinen, ein Zeichensaal mit Nebenraum bewilligt wurden.“

Bereits am 6. August 1912, nach nur einjähriger Bauzeit, fand die Einweihung des Erweiterungsbaus statt. Der strenge Frost des Winters hatte den Bau so sehr verzögert, dass man Ostern noch nicht einziehen konnte. Geradezu euphorisch bezeichnet Hauptlehrer Möller das neue Gebäude als das best eingerichtete Volksschulhaus in Lübeck und mochte es:

„…an dieser Stelle nicht unterlassen, der Oberschulbehörde für die Ausführung dieses mustergültigen Baues den Dank der Schule auszusprechen. Die Schule wird sich bemühen, durch tatkräftige Arbeit an den Kindern sich dieses Vertrauens würdig zu erweisen.“

Er berichtet nachfolgend von vielen Besuchern, die sogar von auswärts anreisten und ‚ihrer uneingeschränkten Bewunderung Ausdruck gaben’.

Noch bevor in den Wohnhäusern mehr und mehr Bäder eingebaut wurden, übernahmen die Schulen eine Vorreiterrolle in Sachen Hygiene. In allen Jahresberichten werden die akribisch aufgelisteten Brausebäder der Kinder erwähnt, die in einem Kellerraum (heute Sportumkleideraum Jungen) stattfanden. Man konnte mit stolzen Zahlen aufwarten, bereits im ersten Jahr schrieb der Chronist:

„Der Gesundheitszustand der Schüler war ein guter. Sehr wohltuend wirkte die Benutzung des Brausebades. Von den 343 Schülern haben nur 19 wegen körperlicher Leiden nicht gebadet, 94% der Schüler benutzten das Bad. Sie nahmen während des Halbjahres 4609 Bäder.“

Bereits 1912 wurde ein schulärztlicher Dienst in Lübeck eingeführt. Dokumentiert sind auch „Stotterkurse“, Vorläufer der heutigen Sprachheiltherapie und zur Stärkung der Gesundheit wurden bedürftige Schulkinder in eine Ferienkolonie verschickt.

Weniger positiv entwickelte sich der Gesundheitszustand des Kollegiums, denn vielfach ist von Langzeiterkrankungen die Rede, mehrfach mit Todesfolge. Genannt wurden in solchen Fällen als Diagnosen Typhus, Geisteskrankheit und Magenbluten. Mit „fliegenden Hilfslehrerinnen“ wurden ärgste Personalmängel aufgefangen.

Bis zur Chronik des Jahres 1916 werden immer wieder Veranstaltungen in der Turnhalle erwähnt, die mit feierlichen Ansprachen dem Sedantag, dem Geburtstag des Kaisers und ähnlichen Anlässen gewidmet waren.

Die Auswirkungen des 1. Weltkrieges werden jeweils nur mit wenigen Sätzen beschrieben, doch lässt sich der Übergang von der euphorischen Anfangsstimmung zum ernüchternden Kriegsende deutlich herauslesen, wenn zunächst

„…die Schule von dem berührenden vaterländischen Geiste dieser großen Zeit durchweht“ ist und „…die großen Taten der Kriegszeit wie das ganze Volk, so auch besonders die Jugend ergriffen hat, daß es deutlich zu erkennen ist, wie sie freudig zu den Zielen unseres Volkes emporgehoben wird“

und am Ende, nachdem man glücklich wieder in das seit 1916 als Lazarett benutzte Schulgebäude zurückkehren durfte, nur noch die nüchterne Bemerkung findet:

„An der Begrüßungsfeier der heimgekehrten Kriegsgefangenen in den Stadthallen am Sonntag, den 14. Dez. (1919) beteiligte sich eine Abordnung von 6 Knaben und 6 Mädchen der ersten Klasse.“

Weimarer Republik

Der seit 1916 amtierende Schulleiter Fr. Nevermann berichtete ab 1920 von allmählich steigenden Schülerzahlen, einer Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse nach der Inflation von 1923 mit der Möglichkeit, die Schule mit besseren Geräten für den Werk- und Physikunterricht auszustatten und dem Einbau von elektrischem Licht in der Turnhalle und dem Physikraum.

Erst mit der Wirtschaftskrise erfasste auch die Schule wieder große Not. Das Heizen der Turnhallen musste eingestellt werden, Sammlungen von Geld, Kleidung und „Fußzeug“ sollten die größte Not bei den Armen lindern helfen.

In der Nachkriegszeit verzeichnete man einen allgemeinen Bevölkerungszuwachs und insbesondere die Industriestandorte, zu denen auch Lübeck zählte, hatten einen erheblichen Anstieg der Einwohnerzahlen zu bewältigen. Diese Entwicklung ging auch an den Schulen nicht vorbei. Die II. St.-Jürgen-Schule erwies sich bald als zu klein, sämtliche Schüler des Einzugsgebietes aufzunehmen. So mussten bereits 1928 mehrere Jungenklassen der oberen Jahrgänge in die Glockengießerstraße zur dortigen 1. Knaben-Mittelschule ausgelagert werden, da diese gerade einige Räume frei hatte, und die organisatorischen Probleme zu groß geworden waren. Die erforderlichen Kapazitäten wurden schließlich 1931 mit der Einweihung der Klosterhof-Schule geschaffen, an die hauptsächlich Jungenklassen abgegeben wurden. Für die II. St.-Jürgen-Schule blieb nur eine Knabenklasse je Grundschulstufe. Damit war die Schule überwiegend zur Mädchenschule geworden.

Ostern 1931 ging Herr Rektor Friedrich Nevermann in den Ruhestand mit dem Abschiedssatz in der Chronik:

„Möge die 2. St. Jürgenschule, an der ich fast 15 Jahre habe arbeiten dürfen, auch fernerhin in der Vorstadt St. Jürgen eine Kulturstätte sein, wo die heranwachsende Jugend zu deutschen Männern und deutschen Frauen und zu sittlichen Persönlichkeiten erzogen wird. Das gebe Gott!“

Mag ein solcher Text heute auch sehr pathetisch klingen, eine Kulturstätte war die Schule auf jeden Fall, denn die Chronik der Weimarer Zeit berichtet von vielen Feiern und Veranstal­tungen aus unterschiedlichsten Anlässen in und außerhalb der Schule, Schulaufführungen vor Eltern sowie zahlreichen Lübecker Meisterschaften bei sportlichen Vergleichskämpfen.

Am 31.10.1931 wurde die vakante Schulleiterstelle mit dem Mittelschullehrer K. Brandt besetzt, er konnte allerdings dieses Amt nur bis Juli 1933 bekleiden, dann wurde er von den neuen politischen Machthaber durch den Mittelschullehrer Wilfried Schultz abgelöst.

Nationalsozialismus und 2. Weltkrieg

Nicht nur an der II. St.-Jürgen-Schule setzten die Nationalsozialisten mit der Ablösung des Schulleiters ein deutliches Zeichen. Auch an anderen Schulen (z.B. Dom- und Klosterhof-Schule) wurden wie in der Verwaltung die Amtsinhaber gegen linientreue Personen ausgewechselt. Zum Rektor der II.-St. Jürgen-Schule setzte man Wilhelm Schultz ein, der jedoch während der Kriegsjahre die Verwaltung der Schule an den Lehrer G. Abel abgeben musste, weil er ab August 1939 in der Wehrmacht diente, zeitweilig in Nordafrika, wie ein Brief an das Kollegium belegt. Nachdem er 1943 die Leitung der Schule zunächst wieder übernahm, verlor er sie endgültig nach Kriegsende im Zuge der Entnazifizierung. Trotz der Fürsprache aus dem Kollegenkreis wurde er von den zuständigen Gremien nicht wieder eingesetzt.

Auch im Schulalltag gab es ab 1933 gravierende Änderungen. Die Schule wurde in den Dienst der nationalsozialistischen Ziele gestellt und zur Rekrutierung des NSDAP-Nachwuchses missbraucht. Für jene Schüler, die nicht dem Bund Deutscher Mädchen, der Hitlerjugend oder der Sportjugend angehörten, wurde die Teilnahme an sogenannten „Wehrsportnachmittagen“ verbindlich. Sie mussten außerdem einem speziellen nationalpolitischen Unterricht folgen, während Mitglieder der Staatsjugendverbände sonnabends vom Unterricht befreit waren, um ihnen an diesem „Staatsjugendtag“ Wandertage und Sportaktivitäten zu ermöglichen. Im Zuge der verstärkten Werbung für die Hitlerjugend ab 1936 traten 98 % der Kinder über 10 Jahre der Hitlerjugend bei.

Von den unsäglichen Leiden des Holocaust war auch eine Lehrerin der Kahlhorst-Schule betroffen. Die jüdische Lehrerin Emma Grünfeldt, die 1897 zum evangelischen Glauben konvertierte, um als Lehrerin tätig werden zu können, unterrichtete seit 1906 an der II. St.-Jürgen-Schule. Am 26. August 1935 wurde die damals 55-jährige aus dem Unterricht geholt und mit sofortiger Wirkung beurlaubt. Bereits zum Jahresende 1935 erhielt sie ihre Entlassungs­urkunde vom Hausmeister der Schule überbracht. In der Chronik 1936 wird lediglich der Vorgang erwähnt:

„Frl. Emma Grünfeldt wurde am 26.08. beurlaubt und am 31.12.35 nach dem Gesetz vom arischen Beamtentum in den Ruhestand versetzt.“

Über das weitere Schicksal dieser Lehrerin, der vom Rektor zuvor noch eine zufrieden stellende dienstliche Beurteilung ausgestellt worden war, ihre Deportation zusammen mit ihren beiden Schwestern und ihren Tod berichtet Dr. phil. Peter Guttkuhn in einer Schrift des Kirchenkreises Lübeck.

Direkt nach Kriegsbeginn am 1. September 1939 musste die Kahlhorst-Schule ihr Gebäude wieder räumen, denn erneut richtete man hier wegen der räumlichen Nähe zum Krankenhaus ein Lazarett ein. Für die Organisatoren des Unterrichts begann eine geradezu chaotische Phase, denn nach 20 Tagen in der Kaland-Schule wurden alle Schüler in der Klosterhof-Schule untergebracht. Durch Kohlenmangel fiel im Winter für mehrere Wochen der Unterricht ganz aus.

Lehrer Meins wurde Konrektor und übernahm die kommissarische Leitung der Schule, die sich nun mit drei weiteren Schulen ein Gebäude teilen musste. Er vermerkte bereits im März 1941 in der Chronik ohne weiteren Kommentar:

„Der Kriegsdienst der Jugend bestand wie im Vorjahr darin, der Industrie durch Sammeln von Altmaterial Rohstoffe zuzuführen. Es wurden zusammengetragen: 435y kg Knochen, 556y kg Lumpen, 949 kg Papier, 1170 kg Eisen, 45y kg Buntmetall und 307y kg Gummi.“

Nach dem Luftangriff auf Lübeck Ende März 1942 musste der Schulbetrieb in Lübeck bis zum 20. April völlig eingestellt werden, da alle Lehrer zum Kriegsschäden-, Wirtschafts- und Quartieramt gerufen und dort eingesetzt wurden.

Turbulent ging es in der Folgezeit zu, und Störungen des Unterrichts gab es in vielfältiger Form: Luftalarm, Lehrerwechsel durch Einberufungen, Raummangel, Klassenauflösungen wegen Kinderland­verschickungen, Sammelaktionen, Erbsenpflücken, Unkrautjäten und vieles mehr. Aus dem Schuljahr 1943/44 erwähnt Rektor Schultz:

„Der Unterricht konnte in voller Stundenzahl erteilt werden, doch fiel durch häufigen Alarm manche Unterrichtsstunde aus, da bei Luftwarnung die Kinder nach Hause entlassen wurden. Nur die Kinder mit weitem Schulweg verblieben im Schulgebäude (Klosterhof). Die Unterbringung aller Kinder bei Luftangriffen im Keller ist nicht ratsam, da die Kellerräume nicht bombensicher sind, die Schule aber in dem freien Gelände ein weithin sichtbares Ziel (mit 3 Flakstellungen auf dem Dach!!) bietet. Es war daher unsere Absicht, die Kinder möglichst zu verteilen, soweit die Zeit dazu ausreichte.“

Dieser Jahresbericht war die letzte Eintragung von Rektor Schultz.

Erst wieder Ostern 1946 schrieb Lehrer Kolz, der seit 1942 zum Kahlhorst-Kollegium gehörte, „aus dem Gedächtnis“ einen Bericht in die Chronik, in dem er den Einmarsch britischer Truppen, den Zusammenbruch des Schulwesens und die Besetzung der Kaland-Schule schildert, in der bis dahin noch stundenweise Schüler von mehreren Schulen unterrichtet worden waren.

Der Neubeginn nach 1946 – eine Mammutaufgabe bei verdoppelter Einwohnerzahl

Die dramatischen Zustände nach dem Krieg schildert der kommissarische Rektor Kolz in der Chronik sehr lebendig. Die Trostlosigkeit, das Flüchtlingselend in den Barackenlagern und die Hungersnot werden ebenso plastisch wie der Mangel an Möbeln, Unterrichtsmaterialien und Lehrkräften, die teilweise noch mitten im Entnazifizierungsprozess steckten.

820 Schülerinnen in 18 Klassen standen an der Kahlhorst-Schule 3 Lehrern und 11 Lehrerinnen gegenüber – kaum mehr vorstellbar.

Das Statistische Amt der Hansestadt Lübeck belegt die Notzeit 1945 - 48 in Zahlen. In seiner Veröffentlichung über diese Zeit finden wir für Lübecks Volksschulen den folgenden Vergleich:

1939 Dez. 1947 Dez. 1948
Zahl der Volksschulen 30 33 34
Benutzbare Schulgebäude 33 27 32
Zahl der Schüler 12 647 27 107 30 856
Zahl der Lehrkräfte 319 387 490
Durchschnittliche Schülerzahl pro Lehrkraft 40 70 63
Benutzbare Klassenräume 405 288 335

Die Schülerzahl wuchs weiter. Mit der Freigabe des eigenen Gebäudes am 18. September 1948 nach 9-jähriger Zweckentfremdung keimten zarte Hoffnungen auf eine Normalisierung der Zustände an der Kahlhorst-Schule. Der zu beschreitende Weg erwies sich als erwartet steinig. Bereits beim Schuljahresbeginn 1949/50, als der Verfasser in die Kahlhorst-Schule eingeschult wurde, hatte sein damaliger Rektor 1526 Kinder in 33 Klassen (Durchschnitt: ca. 42) mit Unterricht zu versorgen. Häufiger Klassenlehrerwechsel, ständig neue Stundenpläne, Fehlzeiten durch Erschöpfung und Kriegsfolgekrankheiten erschwerten die Arbeit der Lehrer, hinzu kam die fortdauernde Möbel- und Materialnot in der Schule.

„Wenn dennoch die Leistungshöhe der Schule nicht wesentlich sank, so ist das nur dem opferfreudigen Einsatz der verbliebenen Lehrkräfte zuzuschreiben“,

schrieb Rektor Kolz.

Bemerkenswert ist die Musikerziehung jener Jahre, denn ein gemischter Schüler- und Lehrerchor übte wöchentlich Chorsätze mit gemischten Stimmen, man traf sich zum gemeinsamen instrumentalen Musizieren, der Tag der Hausmusik wurde festlich begangen und neben dem weihnachtlichen Singen und Musizieren wurde jede Veranstaltung musikalisch umrahmt. Zusätzlich gab es mehrfach im Jahr für die Eltern abends in der Turnhalle Präsentationen der Ergebnisse musischer Erziehung.

Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung und dem Bau neuer Schulen in Lübeck wurde die Situation Jahr für Jahr besser. In der Folgezeit konnte die Schule wieder Lehrmaterialien und Lehrbücher anschaffen. Schulfeste, Ausflüge und Wanderfahrten lockerten das strenge Lernen auf. Die Belastungen bei den Lehrkräften zeigten Folgen. Der Krankenstand blieb hoch, er war 1958/59 gar besorgniserregend, wie Rektor Hans Kolz in seinem letzten Jahresbericht ausführt. Zusätzlich waren neue Schwierigkeiten zu bewältigen. Immer häufiger klagten Lehrer über erzieherische Probleme, die ihre Ursachen teilweise in den ungeordneten häuslichen Verhältnissen hatten. Mehrere Kinder mussten in eine Zwangserziehung gegeben werden.

Nach der gewaltigen Leistung als Lehrer und Rektor trat Hans Kolz 1959 in den verdienten Ruhestand, den er noch lange genießen durfte. Als er am 20. Mai 1985 verstarb, vermerkte Rektor Joachim Schmidt in der Schulchronik:

„Hans Kolz war Schulleiter in den schweren Jahren 1944 – 59. Die Kahlhorst-Schule verdankt ihm viel. Die Schule aus den Wirren des Krieges herausgeführt zu haben, aus dem Zusammenbruch allen schulischen Lebens, aus der Not des Verlustes all ihrer Einrichtung, sie zu einem lebensvollen Gemeinwesen gemacht, ihr wieder Gesicht und Gewicht gegeben zu haben, das ist und bleibt sein Verdienst. Die Kahlhorst-Schule dankt Hans Kolz.“

Heinrich Scheel, der Hans Kolz im Amt des Rektors nachfolgte, steuerte die Schule nun in ruhigeres Fahrwasser. Er kannte die Schule bereits aus seiner Junglehrerzeit, da er 1924 an der Schule hospitiert hatte und danach eine langfristig erkrankte Lehrerin vertreten durfte. Abnehmende Schülerzahlen, bessere wirtschaftliche Verhältnisse der Stadt sowie der Eltern ermöglichten Rektor Scheel eine erleichterte Schulführung. Neuanschaffungen wurden zunehmend möglich, auch über den Schulverein. Das Kollegium veränderte sich während eines Schuljahres nicht mehr so oft, daher war die Zahl neuer Stundenpläne geringer. Leidenschaftlich war in Schleswig - Holstein die Diskussion um die beiden Kurzschuljahre, mit denen die Umstellung auf den Schuljahresbeginn nach den Sommerferien geregelt wurde. Rektor Scheel stellte in seiner nüchternen Beschreibung lediglich fest:

„Das erste Kurzschuljahr umfasst den Zeitraum vom 1.April 1966 bis zum 30. November 1966, das zweite den vom 1. Dezember 1966 bis zum 31. Juli 1967. Der Lehrstoff soll innerhalb von 4 Jahren angeglichen sein.“

Am 16. Juli 1968 beendete er seinen Bericht in der Chronik trocken mit den Sätzen:

„Der Leiter der Schule, Herr Rektor Scheel, wird nach Erreichen der Altersgrenze zum 31.07.1968 pensioniert. Ein Nachfolger ist noch nicht benannt. Er führte die Schule vom 1.4.1959.“

Das Schuljahr 1968/69 begann mit 29 Klassen zunächst unter der Leitung von Konrektor Helmut Berlin, erst im November wurde der neue Schulleiter, Rektor Joachim Schmidt von der Gotthard-Kühl-Schule kommend, in sein Amt eingeführt. Ihm war es vergönnt, die nächsten fast 21 Jahre die Schule mit herausragendem pädagogischem und organisatorischem Geschick zu führen. Die organisatorischen Fähigkeiten waren in den folgenden Schuljahren stark gefordert, da die Zahl der Schüler wieder auf über 1000 stieg und 33 Klassen in 23 Räumen untergebracht werden mussten. So war Rektor Schmidt froh, als im Sommer 1971 der Pavillon auf dem Schulhof gebaut wurde und zumindest von zwei Klassen bezogen werden konnte. Die personelle Versorgung war so knapp, dass mehrere Lehrkräfte wieder Doppelordinariate führen mussten.

Das pädagogische Geschick wurde durch die vermehrt auftretenden Verhaltensauffälligkeiten in der dreizügigen Hauptschule fast täglich abgerufen, denn zahlreiche Situationen erforderten ein wirkungsvolles Eingreifen des Schulleiters.

1988 gab es eine Überlegung, im Gebäude der Kahlhorst-Schule vorübergehend die erste Gesamtschule Lübecks zu eröffnen, bevor diese dann in ein noch zu bestimmendes anderes Gebäude mit der notwendigen Größe hätte einziehen können. Der Gedanke geisterte durch viele städtische Büros, wurde in der Zeitung, den Parteigremien und Lehrerverbänden diskutiert, beschäftigte alle schulischen Gremien mit Konferenzterminen und Stellungnahmen, erste Umbaumaßnahmen wurden berechnet und …dann kam das Aus für diesen Standort. Unser Gebäude bot selbst für die Startphase einer vierzügigen Gesamtschule zu wenig Raum, um beiden Schulen die notwendigen Arbeitsmöglichkeiten zu geben. Kaum waren die Diskussionen um den Gesamt­schul­einzug vom Tisch, brachte eine Presse­verlautbarung des damaligen Schulsenators wieder alle Gemüter in Wallung, denn nun sollte die Kahlhorst-Schule in eine Ganztagsschule umgewandelt werden. Wieder tagten Elternbeirat, Schulkonferenz und andere Gremien, bezogen Stellung und der Schriftverkehr blühte, bis auch diese Idee wieder einschlief.

Fortsetzung folgt...